Altägyptische Weisheiten des Drill Sergeants

Schnell, laut und defensivstark: Wie im Rausch spielen die Zweitliga-Basketballerinnen des ASC Mainz die Dillingen Diamonds in der ersten Halbzeit in Grund und Boden. Am Ende stehen mit 78:44 der fünfte Saisonsieg und die Hoffnung, dass diese Leistung kein Ausreißer nach oben bleibt.

Sagen wir’s mal so: Wer am Samstagnachmittag erstmals ein Spiel der ASC-Basketballerinnen gesehen hätte, wäre leicht auf den Gedanken gekommen, ein Spitzenteam der Zweiten Bundesliga zu erleben. Wer die Mannschaft jedoch seit Längerem verfolgt, dem konnte sich zumindest während der ersten 20 Spielminuten die Frage aufdrängen, ob in der vergangenen Woche ein Händler mit verbotenen Substanzen am Theresianum Station gemacht hatte. Mit leistungs- und kommunikationsfördernden Mitteln wie Speed und Babbelwasser.

„In den knapp zwei Jahren, die ich hier Trainer bin, war das unsere beste erste Halbzeit“, sagte Andre Negron nach dem 78:44 (63:36, 49:20, 24:14) gegen die Dillingen Diamonds. Und Dominique Liggins, der Sportliche Leiter, ergänzte: „Wir haben die verbal aktivste Mannschaft seit Langem gehört.“
In der Tat boten die Gastgeberinnen Erstaunliches. Der Sprungball, den Alexandra Berry gewann und den sie nach zwei Stationen als Pass von Leonie Elbert unter den Korb bekam und zur schnellen Führung nutzte, bildete den Auftakt einer furiosen Anfangsphase. Ein Freiwurf von Kristin Kostadinova, ein von Amina Pinjic per Fastbreak vorbereiteter Elbert-Dreier, ein Bodenpass der Spielmacherin zur auf der linken Seite stehenden Pinjic, ein Korbleger von Elbert, Alina Dötsch nach Kostadinova-Assist am Brett, Elberts zweiter Dreier, Berry mit Anlauf – der ASC trat auf wie ein Überfallkommando und zog auf 17:6 davon, bevor die Gäste auch nur einen Hauch von Ahnung hatten, wie sie sich dieses Rauschs erwehren sollten.
Fürs gute Training belohnt

Ob’s an den Gegnerinnen lag? Immerhin hatte der ASC auch die vergangenen drei Duelle mit den Saarländerinnen gewonnen. Amina Pinjic wollte es nicht ausschließen, dass die Diamonds ihrem Team besonders gut liegen, hegte aber mehr Sympathie für eine Begründung mit der Aussicht auf Nachhaltigkeit: „Heute hat es ,klick‘ gemacht“, sagte die Flügelspielerin, „wir wollten uns endlich für unser gutes Training belohnen.“
Von diesem guten Training redeten die Verantwortlichen in den vergangenen Wochen viel, ohne dass es sich in den Meisterschaftsergebnissen niedergeschlagen hätte. Den entscheidenden Ausschlag für einen Umschwung gab womöglich die Ansage der Vereinsführung, ungeachtet der Tatsache, dass einiges Sponsorengeld davon abhängt, spiele der Tabellenplatz im Endklassement keine Rolle mehr, die Mannschaft solle einfach ihre bestmögliche Leistung abrufen. „Ich glaube, das ist das Ding“, sagte Pinjic. „Wir haben nichts mehr zu verlieren, wir wollen Spaß haben, jede gibt alles, und dann kommt so etwas auch automatisch.“

Rennen, um die Zone zu verhindern
Leonie Elbert führte eine Art Gesetz der reißenden Serie an. „Irgendwann mussten wir ja mal wieder aus dem Loch rauskommen“, sagte die Schwäbin im Kader. Neben dem konsequenten Training („Obwohl wir fast schon die Lust verloren hatten, standen wir jeden Tag in der Halle und haben immer hart gearbeitet“) nannte auch sie den „Spaß am Spiel“ als wichtigsten Faktor. „Wir haben gut verteidigt, wir haben den Ball gut verteilt, jede wusste, wer welche Stärke hat, und wir haben uns gegenseitig gepuscht.“
Das hohe Tempo, das die Gastgeberinnen in der Offensive anschlugen, war eines der Elemente, mit dem die Dillingerinnen nicht zurechtkamen. Die zahlreichen Ballgewinne in der Defense gingen sofort in Fastbreaks über, den Gästen blieb kaum einmal Zeit, sich zu sortieren. „Die Coaches hatten uns gesagt, dass wir rennen sollen, damit die Gegnerinnen sich nicht in die Zone stellen können“, berichtete Elbert.

Negron lässt den Nachwuchs ran
Wer fürchtete oder hoffte, den Schwung des ersten Viertels könnten die ASC-Frauen nicht in den zweiten Durchgang mitnehmen, sah sich wahlweise angenehm überrascht oder enttäuscht – mit 25:6 gestalteten sie diesen Abschnitt sogar noch etwas deutlicher. In Worten: zu sechs. „Die Defense hat heute besser geklappt“, sagt Elbert. „Wir standen öfter auf der Helpside, zumindest die erste Rotation war immer da, und das hat heute gereicht. Gegen stärkere Gegner muss aber auch die zweite Hilfe kommen.“
So viel Kritik durfte schon sein, auch das dritte Viertel, das der ASC mit 14:16 abgab, werden Negron und seine Assistenten sicher genauer analysieren, auch wenn es diesmal nicht ins Gewicht fiel. Gleiches gilt für 20 Ballverluste, von denen 15 in der zweiten Halbzeit zustande kamen. „Aber nur fünf in der ersten Halbzeit – das gab’s noch nie“, schwärmte Negron.
Zu den bemerkenswerten Dingen gehörte auch Negrons – man könnte beinahe sagen – Wechselorgie. Nach sieben Minuten brachte er die 16 Jahre Zweitligadebütantin Alynna Palacios und Madita Oehl, Finja Rehders folgte unmittelbar, und bis zum Ende des Viertels standen diese drei, unterstützt von den erfahrenen Patricia Sagerer und Antonia Filipova auf dem Feld. Von der Starting Five war niemand mehr dabei, ohne dass der Vorsprung merklich kleiner geworden wäre. Filipova sorgte mit ihrem Korbleger zum 24:11 für ein Highlight, bei dem sie den Ball vom Defensivrebound bis zum Abschluss nicht aus der Hand gab.

Einsätze im Training verdient
Ähnlich hielt es Negron im weiteren Verlauf. Gegen Ende des zweiten Viertels durfte die ebenfalls aus der Zweiten Mannschaft hochgezogene Fanny Früauff ran, später auch Cathérine Henneberg. „Ja, die jungen Spielerinnen haben viel Spielzeit bekommen, aber sie sind ja auch immer im Training, sie haben sich die Einsätze verdient“, sagte der Coach.
Die älteren Akteurinnen freuen sich ganz offensichtlich mit dem Nachwuchs: „Es geht auch darum, das gesamte Team einzubinden“, sagte Amina Pinjic, „und es macht riesigen Spaß, wenn man sieht, wie die Jungen sich entwickeln.“

„Ausgepresst wie Zitronen“
Was die Entwicklung der Mannschaft als Ganze angeht, griff Andre Negron auf altägyptische Weisheiten zurück: „Die Pyramiden wurden nicht an einem Tag gebaut, alles braucht seine Zeit“, sagte er. Nicht vergessen dürfe man den Abgang dreier Leistungsträgerinnen gegen Ende vorigen Jahres. „Wir befinden uns in einem Prozess, aus Niederlagen lernen wir, und im Training arbeiten wir daran, unsere Fehler zu beheben. Ich war sicher, dass wir die Kurve kriegen würden.“

Und die neu entdeckte Kommunikationsfähigkeit? Nun, die hat Negron dem Kader quasi eingeprügelt. Als ehemaliger Soldat habe er vor einigen Wochen den „Drill Sergeant“ ausgepackt. „So hatten die Spielerinnen mich noch nie erlebt“, sagte er (und grinste wahrscheinlich unter seiner Maske). Das sah dann beispielsweise so aus, dass er von den Frauen forderte, während der internen Spielsequenzen viel miteinander zu reden, sich gegenseitig zu coachen. Bewegte sich der Redefluss unterhalb eines bestimmten Niveaus, mussten sie laufen. Die Linie hoch, die Linie runter. Immer wieder. „Ich habe sie ausgepresst wie Zitronen.“ Dafür stand die Mannschaft am Samstag aber noch verdammt gut im Saft.

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Unterstützung von Sport aus Mainz